Aktienmärkte: Goethe als Anlageberater: Sieh, das Gute liegt so nah

28.06.17

Hat mit den jüngsten Kursrückgängen die lange erwartete Konsolidierungsphase an den Aktienmärkten begonnen? Gut möglich, aber noch zu früh für eine endgültige Aussage. Jedenfalls sollte man sich etzt nicht verrückt machen lassen von Bären, die mit der simplen Formel „Steigende Zinsen = fallende Aktienkurse“ argumentieren. Denn so weit sind wir noch lange nicht.

Einige Medienvertreter sind seit gestern in heller Aufregung und tragen alles an mutmaßlichen Argumenten zusammen, was für die Schwäche von Dow und Dax herhalten kann: Die jüngste Draghi-Rede mit dem Signal der geldpolitischen Wende, der daraufhin feste Euro, anhaltend zittrige Hightech-Kurse an der Wall Street, irgendwelche Konjunktursorgen und bei uns der Schaeffler-Schock für die Autozulieferer. Nirgendwo taucht der Hinweis auf den Herdentrieb der Großanleger auf – über den man auch sagen könnte: Kurse fallen, weil sie fallen.




Wer sich von Ihnen, geschätzte Anleger, bewusst langfristig und damit an den fundamentalen Wirtschafts- und Unternehmensdaten orientiert, kann gelassen und optimistisch bleiben. Denn die Stimmung der deutschen Wirtschaft ist noch besser als gedacht (siehe Ifo-Index auf Rekordwert gestiegen). Kommentiert der von mir geschätzte Deutschbank-Chefstratege Ulrich Stephan: „Bislang war ich noch zurückhaltend, ob sich die prächtige Stimmung am Ende auch in harten Wachstumszahlen niederschlägt. Nun aber würde ich mich doch dazu hinreißen lassen, meine BIP-Prognose für Deutschland von 1,3 auf 1,6 Prozent für 2017 zu korrigieren.“


Dieses Jahr rechnet der Markt für den Dax mit einem Gewinnwachstum von 11,5 Prozent im Jahresvergleich. Allerdings haben die Analysten ihre Erwartungen im letzten Monat nur noch um 0,3 Prozent nach oben angepasst – zwischen Mitte April und Mitte Mai waren es noch satte 1,5 Prozent. Ein Bild, das sich weltweit abzuzeichnen beginnt. Klar, es sind nicht nur die Gewinnschätzungen, die Aktienkurse bewegen. Eine Pause in der der Aktienrally ist aber möglich und wäre nur natürlich.

Der EZB-Präsident selbst blickt mit Zuversicht auf die wirtschaftliche Entwicklung im Währungsraum: „Alle Zeichen deuten nun auf eine Festigung und Verbreiterung der Erholung in der Euro-Zone hin", sagte Draghi am Dienstag auf einer Notenbank-Konferenz im portugiesischen Sintra. Es gebe zwar immer noch Faktoren, die auf die Inflation drücken würden. „Gegenwärtig sind das vor allem temporäre Faktoren, durch die eine Zentralbank typischerweise hindurchschauen kann." Diese
Äußerungen bewegten die Märkte, der Euro baute seine Gewinne weiter aus, Aktien dagegen unter Druck.


Dass immer mehr internationale Großanleger vor allem auf europäische Aktien setzen (was ich mit Schwerpunkt Deutschland schon seit mehr als einem Jahr empfehle), hat aber auch politische Gründe. Der Enthusiasmus über den erneuten Wahlsieg Macrons nach der französischen Parlamentswahl kommt auch in der Eurozone an. Die Anleger sehen darin ein positives Signal für Euroland und werten den Wahlausgang als klares Bekenntnis zu Europa. Dies beeinflusst auch die Wahrnehmung der Anleger bezüglich eines Auseinanderbrechens der Eurozone. Der Euroland-Gesamtindex des „Sentix Euro Break-up Index“ sinkt das dritte Mal in Folge auf nunmehr 8,6 Prozentpunkte. Zuletzt konnte dieser Wert im September 2014 unterboten werden.


Der aktuelle Wert des Sentix Euro Break-up Index bedeutet, dass zurzeit nur noch 8,6 Prozent der befragten Anleger mit dem Ausscheiden mindestens eines Landes aus der Eurozone innerhalb der nächsten zwölf Monate rechnet. Seinen vorläufigen Höchststand hatte dieser Indikator mit 73 Prozent (!) im Juli 2012 erreicht.


Wer jetzt also nicht nur zu vorsorglichen (Teil-)Gewinnmitnahmen schreiten, sondern auch neue Engagements eingehen will, möge sich an den großen Goethe erinnern, der bekanntlich über viele Talente verfügte – man könnte meinen, auch als Anlageberater, wenn man sein bekanntes Gedicht „Erinnerung“ liest:


Willst du immer weiter schweifen?
Sieh, das Gute liegt so nah.
Lerne nur das Glück ergreifen,
Denn das Glück ist immer da.



Machen Sie also weiter mit, langfristig auf jeden Fall – und machen Sie’s gut!